Fortsetzung des Beitrages von Willi Nauer zum Vogel des Jahres 2025

BirdLife Schweiz hat nun zu diesem Jubiläum alle Natur- und Vogelfreunde aufgerufen, ihre Stimme zum Vogel des Jahres 2025 abzugeben. Zur Auswahl standen: Der Kleiber, der kopfüber einen Baum herunterlaufen kann? Die kleine, gesellige Schwanzmeise, die quasi nie allein anzutreffen ist? Das «gwundrige» Rotkehlchen, das uns bei Gartenarbeiten zutraulich beobachtet? Ist es der Grünspecht, dessen lachender Ruf unser Gemüt erhellt? Oder ist es die kleine Mönchsgrasmücke, deren wunderschöner Gesang in fast jedem Garten zu hören ist ?

Nahezu 12'000 Vogelfreunde haben bei der Wahl mitgemacht und etwas über 25 % der Stimmen fielen auf das Rotkehlchen.
Wen wundert’s? Ist es doch ein mythischer Vogel.

Die Briten lieben Robin Redbreast, wie das Rotkehlchen auf der Insel liebevoll genannt wird. Es ist tief in der britischen Folklore verwurzelt und seit dem 19. Jahrhundert ein beliebtes Motiv auf Weihnachtskarten, Weihnachtsbriefmarken und Schmucktassen. Warum ist das so? In der nordischen Mythologie galt das Rotkehlchen einst als Träger und Überbringer der Sonne. Wegen seines auffälligen, roten Brustgefieders wurde es von den Kelten und Germanen dem rotbärtigen Donnergott Thor zugeschrieben und als Sinnbild für Blitz und Feuer verehrt. So glaubten unsere Vorfahren, dass das Nest eines Rotkehlchens Haus und Hof Frieden sichern und Ehepaaren Glück bringen würde.

Ja selbst im Christentum ranken sich zahlreiche Legenden um das Rotkehlchen. Einige davon ist eng mit der Geburt Christi verbunden und somit Teil der Weihnachtsgeschichte. Ihr zufolge rettete ein Rotkehlchen Jesus im Stall von Bethlehem das Leben: Als es nachts sah, dass das wärmende Feuer auszugehen und damit das Neugeborene zu erfrieren drohte, fächert ihm das Rotkehlchen Luft zu und hielt es so am Brennen. Dabei verbrannte es sich sein Brustgefieder, das sich danach blutrot verfärbte. – Nach einer englischen Volkserzählung singt das Rotkehlchen dem am Kreuz sterbenden Jesus an seiner Seite etwas vor, damit er das Leiden besser ertrage. Dabei wird es mit dem Blut der Wunden gekennzeichnet. - Die wahrscheinlichere Erklärung ist aber in einer weltlichen Assoziation zu finden: Die Weihnachtspost hat in Grossbritannien eine lange Tradition. Besonders in der Adventszeit spielen die Postboten daher eine wichtige Rolle. Im 19. Jahrhundert trugen sie rote Jacken und erhielten den Spitznamen Rotkehlchen. Fortan war der Vogel untrennbar mit Weihnachten verbunden.

Auch in der Literatur wurde das Rotkehlchen mit Weihnachten in Verbindung gebracht: In der Kindererzählung «The Marriage of Robin Redbreast and the Wren» von Robert Burns, macht sich ein Rotkehlchen auf den Weg zum König, um ihm ein Weihnachtslied zu singen. Nachdem es viele Gefahren überstanden hat, verzaubert es den ganzen Hof mit seinem Gesang.

Wer hätte gedacht, dass so ein kleiner, lieblicher Vogel derart Geschichte schrieb?

In der heutigen Welt kennen wir das Rotkehlchen wohl weniger wegen der Färbung, als vielmehr wegen seiner Zutraulichkeit: Fast in jedem Garten kann man das Vöglein regelmässig sitzen sehen, auch mitten im Winter. Hinzu kommt sein wunderbarer, etwas melancholischer Gesang. Dieser wird nicht nur im Frühling vorgetragen, sondern auch im Winter, gerne abends in der Dämmerung. - Seine grossen Augen verraten es: Das Rotkehlchen ist ein Nachtzieher. Weil sich ihre Verbreitung über fast ganz Europa, Russland, bis Kleinasien und Nordafrika erstreckt, ergeben sich daraus ganz unterschiedliche Zugverhalten. Je nach Standort des Brutgebietes sind es Standvögel, Kurzstreckenzieher oder Teilzieher. So ist z.B. das Rotkehlchen aus West- und Mitteleuropa oder aus den britischen Inseln ein ausgesprochener Standvogel. Rotkehlchen, die in der Schweiz brüten, überwintern mehrheitlich in Südeuropa. Unsere Wintergäste hingegen stammen grösstenteils aus Nordeuropa.

Übrigens: Das Rotkehlchen hat bei der Entdeckung und wissenschaftlichen Anerkennung des Magnetsinns eine wichtige Rolle gespielt. In den 1970er Jahren gelang der Nachweis, dass das Rotkehlchen sowohl ohne Sicht auf den Nachthimmel, als auch ohne Sichtmarken die Orientierung beibehalten kann. (Der «Siebte Sinn»).

Zum Schluss noch einige Daten:

  • Grösse: Wie der Speerling (Hausspatz)
  • Flügelspannweite: ca. 20 - 22 cm
  • Netzbau: Sache des Weibchens
  • Brutzeit: März bis Juli
  • Brutbegin: Mitte April bis anfangs Mai
  • Gelegegrösse: 5 bis 7 Eier
  • Brutdauer: 12 bis 15 Tage
  • Netzlingzeit: 13 bis 15 Tage, die Jungen sind 2 bis 3 Wochen später selbständig
  • 2. Brut: Kurz vor oder bis 2 Wochen nach dem Ausfliegen der Jungvögel der Erstbrut
  • Nahrung: Insekten und Larven aller Art. Im Winter oft auch Beeren, angefaultes Fallobst

Möge nun den Rotkehlchen ein guter Rückflug in unsere Brutgebiete gelingen und einen guten Bruterfolg im Jahr 2025 erzielen.

Januar 2025, Willi Nauer